Vater unser im Himmelreich

Nachricht Selsingen, 05. November 2020

Liebe Zuhörerinnen und liebe Zuhörer, 

ein eher unbekanntes Lied von Martin Luther habe ich erst in den letzten Jahren für mich entdeckt. Wenn ich alleine zu Hause bin, singe ich es sogar laut. Es hat so eine mittelalterliche Melodie, an die ich mich zunächst gewöhnen musste. 

Es ist Luthers Vaterunser-Lied, im Gesangbuch steht es unter der Nummer 344. Der Text ist fast 500 Jahre alt, steht also zeitlich auf der Grenze von Mittelalter und Neuzeit. Gleich die erste Strophe markiert den unglaublichen Sprung, den Luther im Glauben gewagt hat. Es ist nach dem Mittelalter ein ganz neuer Blick auf Gott und auf uns Menschen, der uns bis heute bestimmt und prägt. Gott sei Dank dafür!

Ich lese die erste Strophe einmal vor: 

Vater unser im Himmelreich, 
der du uns alle heißest gleich
Brüder sein und dich rufen an
und willst das Beten von uns han: 
gib, dass nicht bet allein der Mund, 
hilf, dass es geh von Herzensgrund. 

„Vater unser im Himmelreich“: Die erste Zeile klingt vertraut und gewohnt, hat es aber in sich, und das ist Luther neu aufgegangen: Wenn Gott wirklich unser Vater ist, dann sind wir seine Kinder. Diese Kinder sind in ihrem Wert gleich, und alle haben das gleiche Recht, mit ihrem Vater zusammen zu sein und mit ihm zu sprechen. 

„Der du uns alle heißest gleich“: Das zu sagen war 1539 eine lebensgefährliche Sensation. 250 Jahre später, 1789, in der Französischen Revolution hießen die drei Hauptpunkte dann Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Und seit wann ist die Gleichheit aller Menschen in Deutschland in Gesetz und Gesellschaft verankert und umgesetzt?

„Brüder sein und dich rufen an“: Das Wort Brüder kommt von Brut, meint also die aus einem Nest. Durch Jesus sind wir Geschwister in Gottes Familie, und alle Geschwister dürfen direkt mit Gott unserem Vater sprechen. Beten ist nicht an bestimmte Orte und Personen gebunden, sondern jeder Mensch darf immer und überall mit Gott dem Vater sprechen. 

„Und willst das Beten von uns han“: Gottes Sehnsucht nach uns Menschenkindern ist Grund und Anfang von Glauben und Beten. Wenn ein Mensch Gott sucht und findet, dann merkt er: Gott hat mich schon lange gesucht. Deshalb ist Glauben immer auch ein Nach-Hause-Kommen. 

„Gib, dass nicht bet allein der Mund, hilf, dass es geh von Herzensgrund“: Wann wurden Menschen in unseren Dörfern zum ersten Mal nach ihrer eigenen Meinung und Überzeugung gefragt? Der Glaube ist zuerst eine Herzens-Sache: Gott zieht unser Herz an sein Herz heran. Und dann wird der Glaube auch eine Kopf-Sache: Wir erkennen, lernen und begreifen immer mehr von Gott, und was er mit unserem Leben und unserer Welt zu tun hat. 

Ich finde, die Lieder von Martin Luther sind gut für unser Herz und für unseren Kopf, und es macht auch Spaß, sie zu singen. 

Es grüßt Sie herzlich - Ihr Manfred Thoden

Manfred Thoden
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