Passionsandacht: Maria
Die Geschichte von Jesus in den Evangelien ist auch die Geschichte der Familie von Jesus. Ob eine Begegnung mit Maria auf dem Kreuzweg stattgefunden hat, ist nicht berichtet. Aber unwahrscheinlich ist nicht, dass Maria den Kreuzweg ihres Sohnes mitverfolgt hat. Nimmt man die Worte des alten, weisen Simeon ernst, der das Jesuskind im Tempel in den Armen wiegen darf, dann wird durch Marias Seele ein Schwert dringen (Lk 2,25). Diese Prophezeiung scheint sich nun zu erfüllen: die Mutter, die ihren Sohn die Monate der Schwangerschaft in sich getragen hat, muss ihn endgültig loslassen, muss mitansehen, wie er leidet und stirbt.
An den Begegnungen zwischen Maria und Jesus in den Evangelien ist immer wieder seine schroffe, ja zurückweisende Art erschreckend. Er habe eine neue Familie, man solle ihn auf dem Weg nicht aufhalten, „Frau, was geht’s dich an, was ich tue“. Es scheint fast so, als ob eine Entfremdung von ihrem Sohn schon früh begonnen habe.
Ob es ein Abschiednehmen von Mutter und Sohn gegeben hat, können wir nur vermuten. Wie ihre letzte Begegnung gewesen ist, beschreibt das Johannes-Evangelium in den letzten Momenten Jesu so: „Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: „Frau, siehe, das ist dein Sohn.“ Danach spricht er zu dem Jünger: „Siehe, das ist deine Mutter.“ Und von der Stunde nahm sie der Jünger zu sich. (Johannes-Evangelium, 19, 25-27) Diese Begegnung zeigte ein zweifaches. Erstens hat Jesus sich im Sterben um die Versorgung seiner Mutter gekümmert. Dabei verbindet er die Geschichte seiner Familie mit der Geschichte der entstehenden ersten Gemeinde. Und zweitens sucht seine Mutter in diesem Augenblick der Verspottung und des Schmerzes die Nähe ihres Sohnes. Selbst wenn sie nicht helfen kann, will sie Jesus nahe sein. Und mehr braucht es in diesem letzten Augenblick nicht, als da zu sein für einen anderen – und mit ihm einen Augenblick auszuhalten. Maria kann ihrem Sohn das Kreuz nicht abnehmen, aber sie kann Anteil nehmen an seinem Leid und an seinem Schmerz.
So geschieht es bis heute in dieser Welt: Da wird Leiden geteilt, Trost gespendet, da setzen sich Menschen für andre ein, die sich in Not befinden, halten mit ihnen aus. Das findet meist im Verborgenen statt. Ohne große Aufmerksamkeit, ohne großes Aufsehen. Und doch stetig und verbindlich. Wie sähe die Welt nur ohne sie aus, ohne die vielen Marias, die diesen Dienst tun, ohne, dass es einer sieht und merkt – manchmal auch nur mit einer kleinen Geste?
Gebet
Guter Gott,
du siehst, wenn Menschen leiden.
Du hörst, wenn jemand weint.
Du weißt, wie groß Angst sein kann
und wie schlimm Schmerzen sind.
Denn dein Sohn Jesus hat selber gelitten.
Er ist am Kreuz gestorben.
Aber du hast ihn auferweckt.
Du bist größer als die Angst
und stärker als der Tod.
Danke, guter Gott. Amen.